Im Zuge der Föderalismusreform 2006 wurden Gesetzgebungskompetenzen vom Bund auf die Bundesländer übertragen. Bayern erließ als erstes Bundesland ein eigenes Versammlungsgesetz, gegen das 13 Organisationen Verfassungsbeschwerde erhoben. Die bayerische FDP trägt trotz Koalition mit der CSU die Verfassungsbeschwerde mit; Änderungen wurden angekündigt.

Baden-Württemberg folgte am 6.11.08 mit einem neuen Polizeigesetz, das Kontroll- und Überwachungsbefugnisse der Polizei in den präventiven Bereich ausdehnt und Grundrechte – vor allem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – ernsthaft in Frage stellt. Automatische Erfassung von Autokennzeichen, gemeinsame Projektdateien von Polizei und Verfassungsschutz, Ausweitung der Befragungsrechte der Polizei, Einschränkung des Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechts und Ausweitung der Videoüberwachung machen den präventiven Charakter des Gesetzes deutlich und führen direkt in einen Überwachungsstaat.

Begründet wird die polizeiliche Aufrüstung mit dem Schutz vor neuen extremistischen und terroristischen Angriffen. Würde die Landesregierung ihren eigenen Bedrohungsszenarien folgen, müsste sie an vielen Punkten ein wesentlich perfekteres Überwachungssystem aufbauen, als es selbst mit dem neuen Gesetz möglich sein dürfte oder würde sogar dieses Gesetz an vielen Punkten bei weitem nicht ausreichen.

Demokratie ist in einem totalitären Überwachungsstaat verdächtig.

Schmackhaft gemacht wird das Gesetz mit der Schaffung einer Rechtsgrundlage für den Wohnungsverweis, der von Frauenrechtsgruppen schon lange gefordert wurde.
Anfang kommenden Jahres soll ein neues Versammlungsgesetz das Polizeigesetz ergänzen. Die Landesregierung macht im Gesetzentwurf deutlich, was sie mit den im Grundgesetz verankerten Bürgerrechten vorhat:
„Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Gesetzes eingeschränkt“. Diese Klarstellung dürfte nach dem Studium des Entwurfs kaum nötig sein. Die geplanten Einschränkungen sind beträchtlich, weshalb davon auszugehen ist, dass die größte Leistung des Gesetzes in Einschüchterung und Verhinderung zivilbürgerlichen Engagements bestehen wird. Betreffen wird es vor allem links-alternative, radikaldemokratische und antifaschistische Gruppen; Gruppen, die weder ausreichend Leute noch Geld haben, Strafen zu bezahlen oder die angeforderte Zahl von OrdnerInnen zu benennen. Zusätzlich alle diejenigen, die es wagen, mit Blockaden und Ruhestörung auf Themen hinzuweisen oder auf Missstände zu reagieren.
Die Behauptung des Justizministers, es gehe vor allem darum, rechtsextreme Aufmärsche verhindern, ist schwer zu vermitteln. Tatsächlich hätte auch ohne neuen Gesetzentwurf das Absingen aller drei Strofen des Deutschlandliedes oder das Tragen von Nazisymbolen bereits nach der bestehenden Rechtslage zur Auflösung fast aller rechtsextremen Veranstaltungen führen müssen.
Der neue Gesetzentwurf erklärt jedes Treffen von zwei Menschen, das „überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“ zielt, zu einer Versammlung (§2).
Für diese ist eine VersammlungsleiterIn zu benennen, der/die verpflichtet wird, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden.“ (§4). Damit entsteht eine neue Hilfspolizei.
Bekannt war bis jetzt ein Uniformierungsverbot, das nun durch ein „Militanzverbot“ (§ 7) ergänzt werden soll. Damit kann eine Versammlung bereits verboten werden, wenn sie den „Eindruck von Gewaltbereitschaft“ vermittelt. Sollte trotz Militanzverbot die Blockade einer anderen Veranstaltung versucht werden, folgt ergänzend ein Störungsverbot (§8).
Selbstverständlich konnten auch nach geltendem Recht Demonstrationen, bei denen Gewalttätigkeiten zu befürchten waren, verboten werden. Die Ausdehnung auf unscharfe Begriffe wie „Militanz“ und „Störung“ wirft Fragen auf. Wer wird bewerten, welche Kleidung militant wirkt oder wann eine Demonstration über das übliche Maß hinaus stört?
Eine weitere Erschwernis bedeutet es, dass OrdnerInnen vor der Versammlung namentlich genannt werden müssen. So werden Daten von Menschen gesammelt, die politisch für ein Thema aktiv sind. Die zuständige Behörde kann außerdem Versammlungsleitung sowie OrdnerInnen als ungeeignet ablehnen (§ 15).
Doch nicht nur VersammlungsleiterInnen und TeilnehmerInnen sollen für die Genehmigung einer Versammlung in Zukunft ausschlaggebend sein, sondern auch „Dritte“, deren „gleichrangige Rechte“ zu beachten sind (§17). Legalisiert wird auch die schon lange gängige Praxis, Veranstaltungen zu filmen (§19).

Eine neue Qualität erreicht das geplante Versammlungsgesetz in Bezug auf Veranstaltungen in geschlossenen Räumen. Galt für sie nach Art.8 des Grundgesetzes besonderer Schutz, enthält der Gesetzesentwurf auch hier Möglichkeiten zum Eingreifen der Behörden, die größtenteils den Einschränkungen der Versammlungen unter freiem Himmel gleichen. Neu auch, dass Einladungen demnächst nur noch von einer natürlichen Person, nicht mehr von einer Organisation, ausgesprochen werden dürfen, und dass Versammlungen aufgrund von Äußerungen, die die Leitung nicht unterbindet, geschlossen werden können.
Bei den Punkten Militanz und OrdnerInnen hat die Landesregierung an die Adresse der Gewerkschaften Kompromissbereitschaft signalisiert. Erste Mai-Demos seien so wenig gemeint wie Streikposten, heißt es. Die Gewerkschaften reagieren mit Skepsis, denn „Herrsche und Teile“ – Strategien sind ihnen bekannt.
Ein umfangreicher Bußgeldkatalog rundet den Katalog der Versammlungsverhinderungsmaßnahmen ab (§25). Wer bis dorthin noch nicht von der Planung einer Versammlung abgeschreckt worden sein sollte, dürfte spätestens jetzt ins Grübeln kommen. Ein Griff zum Grundgesetz wird wenig helfen. Das wurde außer Kraft gesetzt.

 

Autorin:

Ruth Birkle