Milchmädchenrechnung

 

Zur Berichterstattung über den akzeptierten Vergleich im Derivate-Streit mit der Deutschen Bank erreichte uns folgende Leserzuschrift:

 

1. Oktober 2009: „Nach seinem Amtsantritt begutachtet der neue OB Gert Hager die Finanzen und schlägt Alarm: Aus den Derivate-Geschäften drohen bis zu 77,5 Millionen Euro Verlust, aktuell sind es rund 57,7 Millionen Euro.“

 

Die Klagen der Stadt laufen gegen zwei Banken, J. P. Morgan und Deutsche Bank. Aktuell: Nun bringt man uns Bürgern unter Freudengeschrei nahe: „Der Derivate-Skandal ist ausgestanden“, denn nach 35 Millionen werden weitere 7,75 Millionen Euro wieder in die Stadtkasse zurückfließen. „80 Prozent des Gesamtschadens konnten wir zurückholen“, äußerte sich am 20. September ein glücklicher Oberbürgermeister Hager gegenüber der Presse.

 

Was für eine witzige Milchmädchenrechnung! Im Schönrechnen ist man auf dem Rathaus ein Weltmeister. Wieder einmal spricht vom Zinsverlust dort keiner. Muss die Stadt Geld aufnehmen, weil ihr dieses Spekulationsgeld in der Kasse fehlt, fallen (bei nur drei Prozent gerechnet) gewaltige Zinsbeträge an, die man uns Bürgern völlig unterschlägt.

 

Es waren rund 57 Millionen seit 2004. Pro Jahr sind dies (57 Millionen mal drei Prozent) 1,71 Millionen Euro. Rechnet man dies von 2004 bis 2009 sind das für fünf Jahre bereits 8,55 Millionen Euro Zinsverlust. 35 Millionen dieses Verlustes musste die beteiligte Bank J. P. Morgan 2009 zwischenzeitlich ersetzen.

 

Die restlichen, fehlenden 20 Millionen ergeben dann seit 2009 im Jahr 600 000 Euro Zinsverlust (bei nur drei Prozent gerechnet) mal sieben Jahre macht 4,2 Millionen Euro Zusammen ergibt dies nahezu 13 Millionen Euro Zinsverlust. Dazu kommt der eigentliche Verlust von rund 15 Millionen (57,7 Millionen minus 35 Millionen minus 7,75 Millionen).

 

Das ergibt einen effektiven Verlust von 15 Millionen plus 13 Millionen Zinsverlust von zusammen 28 Millionen Euro. Bei insgesamt rund 28 Millionen Euro Verlust war die ganze Aktion also ein Bombengeschäft.

 

Warum wird nur die ehemalige OB Christel Augenstein und die ehemalige Kämmerin Susanne Weishaar zur Rechenschaft gezogen? Man sprach in Pforzheim in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund von dem „Drei-Mädel-Haus“. Musste nicht auch die Rechtsamtsleiterin ihren Segen zu diesen Spekulations-Wetten geben? Anders geht das in einer Verwaltung eigentlich nicht. Wie ist das üblicherweise bei einer Straftat? Auch Mitwisser, Mitstreiter und „Zuarbeiter“ (auch der Personalchef als „schwarze Eminenz?“) müssen zur Verantwortung gezogen werden.

 

Beim Aufarbeiten einer Affäre sollte man Ross und Reiter nennen. Wir Bürger können von einer Verwaltung erwarten, dass sie eine Sache ganz aufklärt und den Bürgern Rechenschaft abgibt.

 

Gunhilde Köhler Pforzheim

———-

Geheim ist gemein

 

Stadtgespräch

 

 

 

Das ist ein ziemlich großer Spatz, den Oberbürgermeister Gert Hager da in der Hand hält. 80 Prozent des verdummbeutelten Derivate-Geldes ist wieder da – ohne die in den vergangenen zwölf Jahren aufgelaufenen Zinsen und Zinseszinsen versteht sich. Immerhin 42,75 Millionen Euro haben die Banken also zurücküberwiesen. Da fällt es einigermaßen leicht, das dürre Täubchen auf dem Dach sitzen zu lassen, das angesichts eines unabsehbaren Prozessrisikos kaum mehr als vier zusätzliche Millionen hätte bringen können.

 

Dementsprechend unumstritten fiel wohl die Entscheidung im Gemeinderat. Obwohl – so genau weiß man das ja nicht, denn das Gremium zog es vor, über das Vergleichsangebot im Streit mit der Deutschen Bank unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln. Das macht zunächst Sinn. Hätte man sich für eine Fortsetzung des Rechtsstreits entschieden, hätte die öffentliche Erörterung der eigenen Situation sicher den Bänkern in die Hände gespielt.

 

Doch der Streit ist ausgestanden, der Deal akzeptiert und zwar nicht nur von der Stadt, sondern längst auch von der Deutschen Bank. Was hält den Oberbürgermeister jetzt noch davon ab, seinen Räten den Maulkorb abzunehmen? Wer dem Vergleich zugestimmt hat, hatte sicher gute Gründe. Und wer für eine neue Runde vor dem Landgericht plädiert hat, hat sich das sicher auch gut überlegt.

 

Was spricht dagegen, jetzt die Karten auf den Tisch zu legen und zu verraten, wer wie argumentierte? Demokratie lebt von der Offenheit. Und was intransparente Hinterzimmer-Entscheidungen bringen können, hat der Derivate-Skandal ja eindrucksvoll gezeigt. Roland Weisenburger