„Es gibt keine andere Lösung“
Fast alle Fraktionen wollen 55 Millionen teurem Vorschlag zur Auflösung der Derivate folgen
Pforzheimer Kurier 04.02.2010
Stadt: Klage gegen Banken immer noch möglich
Von unserem Redaktionsmitglied Mike Bartel
Der Stadt bleibt gar nichts anderes übrig, als ihre mutmaßlich gesetzeswidrigen Zinsderivate so schnell wie möglich loszuwerden. Dies ist am Tag nach der Auflösungsempfehlung von OB Gert Hager (der Pforzheimer Kurier berichtete) die nahezu einhellige Meinung in den Fraktionen des Gemeinderats. Vorbehalte gibt es derzeit nur noch bei der FDP.
Die Derivat-Geschäfte mit J. P. Morgan, aus denen Verluste von bis 77,5 Millionen Euro drohen, aufzulösen und stattdessen einen langfristigen Kredit über 55 Millionen Euro abzuschließen, das ist nach Ansicht des CDU-Fraktionsvorsitzender Florentin Goldmann „wohl der einzig gangbare Weg“. Da es sich um rein spekulative und damit unzulässige Papiere handle, gibt es für ihn „so, wie es uns präsentiert worden ist, keine andere Lösung“. Unabhängig davon gelte es zu erfragen, ob das Vorgehen der damaligen Verantwortlichen von vornherein gesetzeswidrig war.
Mit diesbezüglichen Behauptungen „außerordentlich vorsichtig“ ist nach eigenem Bekunden die SPD-Fraktionsvorsitzende Dorothea Luppold. Die Verwendung von Derivaten sei unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich möglich, „aber diese Papiere entsprechen offenbar nicht dem, was Kommunen dürfen“. Deswegen müsse man schnellstens zurück zu zulässigen Kreditgeschäften.
„Voll und ganz der Meinung des OB“ ist auch Gerhard Sonnet, der Vorsitzende der FW/UB/LBBH-Fraktion. „Weil die Zinsen gerade unten sind“, sei jetzt der richtige Zeitpunkt, die Derivat-Geschäfte in langfristige Kredite umzuwandeln.
„Hier handelt es sich nicht nur um hochriskante, sondern auch um rechtswidrige Geschäfte“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen Liste, Sibylle Schüssler, „und deswegen müssen wir aussteigen.“
Bedenken äußert lediglich der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke, der empfiehlt, zunächst noch das Ergebnis des zweiten Gutachtens zu den Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits mit den Banken abzuwarten. „Ein Herauskaufen wäre das Eingeständnis, dass die Prozess-Chancen aussichtslos sind“, mutmaßt Rülke. Schon das erste Gutachten sei für ihn fragwürdig gewesen und die dafür aufgewendeten 133 000 Euro „zum Fenster rausgeschmissenes Geld“, wenn man jetzt aussteige.
Derweil betont der städtische Pressereferent Michael Strohmayer, der sich gestern einmal mehr vor bundesweiten Medienanfragen kaum retten konnte, dass die Auflösung der Derivate in keinerlei Zusammenhang mit einer immer noch möglichen Klage gegen die Banken zu sehen sei. „Es geht darum, den Schaden so gering wie möglich zu halten und das hat überhaupt nichts mit der Prüfung von Regressforderungen zu tun“, erklärte Strohmayer auf Nachfrage. Im Übrigen stehe das Ergebnis des zweiten Gutachtens zu einem möglichen Rechtsstreit noch aus.
Für die Stadt gehe es in erster Linie darum, „so schnell wie möglich wieder einen rechtmäßigen Zustand herzustellen“. Das heißt im Klartext: Weg mit den Derivaten. Ob sich auch das Regierungspräsidium der Auffassung der Stadt anschließt, soll bereits in den nächsten Tagen geklärt werden. Dann muss noch der Gemeinderat seine Zustimmung geben. Dessen nächste Sitzung ist am 23. März.
Die jetzt genannte Summe von 55 Millionen Euro fürs Auflösen der Derivate errechnet sich aus zwei Komponenten. Da ist zum einen der Barwert der Papiere, der bis zur Fälligkeit im Jahr 2014 unweigerlich auf 77,5 Millionen Euro steigen wird und derzeit bei 66 Millionen liegt. Und da ist zum anderen der gegenzurechnende spekulative Optionsanteil mit einem Plus von derzeit elf Millionen Euro, von dem man aber überhaupt nicht weiß, wie er sich weiterentwickelt. Und 66 minus elf Millionen macht 55 Millionen.
IN DEN FOKUS DER MEDIEN geriet Pforzheim durch Derivate, die man nun
schnellstens loswerden will. Das Bild zeigt OB Gert Hager (rechts) und
Mitarbeiter bei einer Pressekonferenz. Archivfoto: Wacker
Mit freundlicher Genehmigung des Pforzheimer Kurier