PFORZHEIM. Der Abschluss der riskanten Derivate-Geschäfte durch die Pforzheimer Stadtkämmerei war unzulässig. Zu diesem Schluss kommt die Gemeindeprüfungsanstalt. Stadtkämmerin Susanne Weishaar ist beurlaubt.

Das Medien-Interesse war immens, als Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) und Personalamtsleiter Bernhard Enderes gestern den Bericht der Gemeindeprüfungs-Anstalt (GPA) vorstellten. Die GPA hatte untersucht, wie die Stadt Pforzheim seit dem Jahr 2002 zunehmend Derivate-Geschäfte abgeschlossen hatte. Daraus drohen in den Jahren 2014 bis 2017 Verluste von bis zu 77,5 Millionen Euro. „Aktuell sind es rund 53 Millionen Euro“, sagte Enderes.

Selbst die Banken warnten

Dem Prüfbericht zufolge hätte die Stadt einen Großteil dieser Geschäfte gar nicht abschließen dürfen. Derivate seien nur zulässig, um die Zinsbelastung aus bestehenden Krediten zu verringern. Insbesondere die zu hohen Verlusten führenden Spread Ladder Swaps der Deutschen Bank und ähnlich gelagerte Geschäfte mit JP Morgan standen nicht mehr in Verbindung mit real existierenden Schulden und deren Zinsen, so Enderes. Daher seien diese Geschäfte spekulativ und verstießen gegen das Spekulationsverbot. Darüber hinaus hätte die Kämmerei nach Auffassung der GPA Derivate in dieser Größenordnung nicht ohne den Gemeinderat einsetzen dürfen.

„Auch die Banken haben sich kritisch geäußert, ob die Verwaltung dies darf.“ Nach den vorliegenden Erkenntnissen übergingen die Kämmerei und die frühere Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP) diese Bedenken.

Für das erste, grundsätzlich noch zulässige Derivate-Geschäft, erteilte Augenstein der Kämmerin Susanne Weishaar eine Vollmacht. Nach Reklamation der Bank unterschrieb dann doch die Oberbürgermeisterin.

Die Geschäfte mit der Deutschen Bank tragen alle die Unterschrift der Kämmerin. Die nach heutigem Stand noch viel verlustreicheren Folgegeschäfte mit JP Morgan sind wieder von der OB unterschrieben.

Der Gemeinderat sei erst im Nachhinein, zögerlich und „verharmlosend“, in Kenntnis gesetzt worden und habe das wahre Ausmaß erst 2009 erfahren. Die Bürgermeister seien außer der OB außen vor geblieben, nur der frühere Erste
Bürgermeister Andreas Schütze sei zu einem minimalen Teil informiert gewesen. „Aus den Akten lassen sich keine Anhaltspunkte für eine inhaltliche Befassung des Ersten Bürgermeisters mit den Geschäften entnehmen“, heißt es in Enderes‘ schriftlichem Bericht.

Frage nach Haftung gestellt

Die Kämmerei sei bei Abschluss der Verträge von den Banken auf die hohen, zum Teil unbegrenzten Risiken für die Stadt hingewiesen worden. Als mögliche Konsequenzen nennt Enderes strafrechtliche, haftungs- und arbeitsrechtliche
Maßnahmen.

Auf Nachfrage sagte Oberbürgermeister Gert Hager, dass er Stadtkämmerin Susanne Weishaar am Freitag beurlaubt habe. Sie hatte bereits gekündigt, ihr Arbeitsverhältnis endet am 31. März 2010.

 

Derivate Pforzheim 2009

Betretene Mienen bei den Stadträten und oben auf den Publikumsrängen – der Prüfbericht zum Derivate-Fiasko der Stadt Pforzheim, den Oberbürgermeister Gert Hager im Ratssaal vorstellte, sorgte für heftiges Kopfschütteln bis hin zum Entsetzen.          Foto: Ketterl

 

Kommentar:

Holger Knöferl PZ-Redakteur zu:

Prüfbericht zu den Derivate-Geschäften: Ein Alleingang

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Am Montag ist sie gestorben – die Hoffnung, dass die Stadt Pforzheim von ausgebufften Bankern über den Tisch gezogen worden ist. Der Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt offenbart vielmehr, dass es die ehemalige Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP) und die seit Freitag beurlaubte Stadtkämmerin Susanne Weishaar waren, die den Karren in den Dreck gefahren haben.
Der Prüfbericht zeichnet ein Bild von Augenstein und Weishaar, das an einen Glücksspieler erinnert, der verzweifelt versucht, seine Verluste durch immer noch höhere Einsätze wieder hereinzuholen und sich nach außen mit Durchhalteparolen rechtfertigt.

Gemeinsam haben die beiden den Schrecken ohne Ende dem Ende mit Schrecken vorgezogen. Die Folgen sind katastrophal und gehen weit über den finanziellen Schaden hinaus. Augenstein und Weishaar haben geltendes Recht in ihrem Sinne gebeugt, sie haben die Kontrollgremien umgangen, sie haben nur soviel über das Desaster an die Öffentlichkeit dringen lassen, wie unvermeidbar war – Augenstein zuletzt sogar im Wahlkampf. Und jetzt? Ist das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung ruiniert – das Schlimmste, was Pforzheim in dieser Situation passieren konnte.

 

Mit freundlicher Genehmigung der Pforzheimer Zeitung

PFORZHEIM. Der Abschluss der riskanten Derivate-Geschäfte durch die
Pforzheimer Stadtkämmerei war unzulässig. Zu diesem Schluss kommt die
Gemeindeprüfungsanstalt. Stadtkämmerin Susanne Weishaar ist beurlaubt.

Das Medien-Interesse war immens, als Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) und
Personalamtsleiter Bernhard Enderes gestern den Bericht der
Gemeindeprüfungs-Anstalt (GPA) vorstellten. Die GPA hatte untersucht, wie die
Stadt Pforzheim seit dem Jahr 2002 zunehmend Derivate-Geschäfte abgeschlossen
hatte. Daraus drohen in den Jahren 2014 bis 2017 Verluste von bis zu 77,5
Millionen Euro. „Aktuell sind es rund 53 Millionen Euro“, sagte Enderes.

Selbst die Banken warnten

Dem Prüfbericht zufolge hätte die Stadt einen Großteil dieser Geschäfte gar
nicht abschließen dürfen. Derivate seien nur zulässig, um die Zinsbelastung
aus bestehenden Krediten zu verringern. Insbesondere die zu hohen Verlusten
führenden Spread Ladder Swaps der Deutschen Bank und ähnlich gelagerte
Geschäfte mit JP Morgan standen nicht mehr in Verbindung mit real
existierenden Schulden und deren Zinsen, so Enderes. Daher seien diese
Geschäfte spekulativ und verstießen gegen das Spekulationsverbot. Darüber
hinaus hätte die Kämmerei nach Auffassung der GPA Derivate in dieser
Größenordnung nicht ohne den Gemeinderat einsetzen dürfen.

„Auch die Banken haben sich kritisch geäußert, ob die Verwaltung dies darf.“
Nach den vorliegenden Erkenntnissen übergingen die Kämmerei und die frühere
Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP) diese Bedenken.

Für das erste, grundsätzlich noch zulässige Derivate-Geschäft, erteilte
Augenstein der Kämmerin Susanne Weishaar eine Vollmacht. Nach Reklamation der
Bank unterschrieb dann doch die Oberbürgermeisterin.

Die Geschäfte mit der Deutschen Bank tragen alle die Unterschrift der
Kämmerin. Die nach heutigem Stand noch viel verlustreicheren Folgegeschäfte
mit JP Morgan sind wieder von der OB unterschrieben.

Der Gemeinderat sei erst im Nachhinein, zögerlich und „verharmlosend“, in
Kenntnis gesetzt worden und habe das wahre Ausmaß erst 2009 erfahren. Die
Bürgermeister seien außer der OB außen vor geblieben, nur der frühere Erste
Bürgermeister Andreas Schütze sei zu einem minimalen Teil informiert gewesen.
„Aus den Akten lassen sich keine Anhaltspunkte für eine inhaltliche Befassung
des Ersten Bürgermeisters mit den Geschäften entnehmen“, heißt es in Enderes‘
schriftlichem Bericht.

Frage nach Haftung gestellt

Die Kämmerei sei bei Abschluss der Verträge von den Banken auf die hohen, zum
Teil unbegrenzten Risiken für die Stadt hingewiesen worden. Als mögliche
Konsequenzen nennt Enderes strafrechtliche, haftungs- und arbeitsrechtliche
Maßnahmen.

Auf Nachfrage sagte Oberbürgermeister Gert Hager, dass er Stadtkämmerin
Susanne Weishaar am Freitag beurlaubt habe. Sie hatte bereits gekündigt, ihr
Arbeitsverhältnis endet am 31. März 2010.